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Vor- und Nachbereitung zur Beerdigung

Vortrag anlässlich des GEPS-Ländertreffensin Koblenz am 10./11. Oktober 1998

Mein Name ist Michael Leuschen, ich bin 34 Jahre alt, verheiratet, meine Frau und ich haben zwei Kinder, einen Jungen der 7 Jahre alt ist und eine Tochter die 5 Jahre alt ist.

Nachdem ich 1991 den Meisterbrief im Schreinerhandwerk erworben habe, habe ich 1992 die Prüfung zum fachgeprüften Bestatter abgelegt. Mit 19 Jahren hatte ich das erste Mal Kontakt mit einem Verstorbenen. Seit neun Jahren arbeite ich nur noch als Bestatter. Für Schreinerarbeiten bleibt keine Zeit mehr übrig.

 

Vor- und Nachbereitung zur Beerdigung eines am
Plötzlichen Säuglingstodes gestorbenen Kindes


So lautet die Überschrift meines Vortrages in der Vorankündigung zum GEPS-Ländertreffen. Der ein oder andere wird sich vielleicht die Frage gestellt haben: Was kann ich als Betroffener vorbereiten? Diejenigen unter Ihnen, die die schreckliche Situation, das eigene Kind tot aufgefunden zu haben, erlebt haben, haben sich vielleicht die Frage gestellt: Was hätten wir anderes tun können als das, was Sie zum Beispiel vom Pfarrer, Arzt, Polizisten oder sogar aus der eigenen Familie vorgegeben bekommen haben.


Alle Ratschläge und Hilfen die Ihnen geboten wurden, werden mit Sicherheit aus dem Wunsch heraus geäußert, helfen zu wollen. Möglichst alles von Ihnen fern zu halten. Sie nicht noch mehr in dieser schrecklichen Situation zu belasten. Diese Fürsorge geht manchmal sogar soweit, dass der ein oder andere Arzt den betroffenen Eltern, besonders der Mutter Beruhigungsmittel verschreibt oder gar verabreicht. Und genau dieses fernhalten aller Aufgaben denke ich, ist nicht richtig Man kann diese Art von Schmerzen nicht einfach abschalten, wir müssen ihn aushalten, diesen Schmerz, ihn durchleben.


Aushalten und durchleben kann ein Mensch eine solche Situation eigentlich nur wenn er sich den Tatsachen stellt und der, wenn auch sehr grausamen Wahrheit in die Augen sieht.


Die Erfahrungen, die ich selbst in der Situation des plötzlichen Säuglingstodes gesammelt habe und die Erfahrungen, die von Kollegen in der gleichen Situation erlebt und in Gesprächen weiter gegeben wurden, haben mir gezeigt, dass betroffene Eltern, wenn sie an der Hand genommen wer­den, sehr viel tun können.


Betroffene Eltern sind zu sehr großen Taten fähig, wenn sie darauf hingewiesen werden, dass sie selbst etwas tun können und meiner Meinung nach tun müssen. Ich glaube sogar, dass manche Krise die aus unterschwelligen Schuldzuweisungen nach einem plötzlichen Säuglingstod heraus entsteht, nicht entstehen kann, wenn betroffene Eltern gemeinsam und damit auch sich gegenseitig helfen.


Mütter und Väter gehen grundsätzlich ganz unterschiedlich mit dem Trauma ,,Unser Kind ist tot“ um.

 

Während die Väter in aller Regel bedingt durch ihre Arbeit, Vereinsaktivitäten und der gleichen sehr schnell zurück in ihren Alltag finden und somit durch den ständigen Umgang mit Arbeitskollegen und Vereinskameraden Ablenkung finden, bleiben die Mütter sehr häufig in den eigenen vier Wänden isoliert.


Die Nachbarin, die ab und an mal zum Gespräch vorbeikam, bleibt fern. Der Tod des Kindes hat in ihr Berührungsängste geweckt. Wenn Mutter und Vater jedoch die Beerdigung ihres Babys gemeinsam vorbereiten, schaffen sie die Basis, gemeinsam die traurigste Zeit ihrer Partnerschaft zu meistern.


Werdende Eltern, ganz besonders werdende Mütter, haben im Normalfall 9 Monate Zeit, sich auf das werdende neue Menschenkind vorzubereiten. In der Regel ist es eine Zeit voller Erwartungen, Freuden, Plänen und Sorgen. Die Geburt dieses neuen Menschleins habe ich bei unseren beiden Kindern miterleben dürfen. Es waren Momente voller Spannung, Freude, Erwartung und voller Angst.


Angst darum, ist alles dran, ist unser Kind gesund, wie hat meine Frau die Geburt überstanden. In diesen Momenten habe ich erfahren, wie nahe Freude und Leid beieinander sind. Tränen können Ausdruck des Leids/der Trauer, aber auch Ausdruck von Freude sein. Als Eltern haben meine Frau und ich seit der Geburt unserer Kinder 16-20 Jahre Zeit uns darauf vorzubereiten, dass unsere Kinder sich von uns loslösen und selbstständig werden.


Wenn nun Eltern ans Bett ihres, noch nicht einmal einem Jahr alten Kindes treten und feststellen:
Unser Kind ist tot, so sind innerhalb eines Momentes alle Pläne, alle Freuden und ein Teil der Eltern selbst zerstört. Es kann und darf nicht sein, das alle Liebe, alle Pläne ohne Vorbereitung, einfach nur so mit dem toten Kind beerdigt werden. Mit welcher Liebe und Hingabe würden wohl Eltern ihr Kind baden oder die Windel wechseln, wenn sie genau wüssten: DAS IST DAS LETZTE MAL. Warum also sollen Eltern dies nicht tun, wenn ihr Kind tot ist?


Was spricht dagegen, wenn die Mutter zum Beispiel ihr Baby noch ein letztes mal baden darf oder der Vater eine frische Windel anlegt? Persönliche Kleider stehen auch einem kleinen Men­schenkind besser wie ein steriles Totenhemdchen. Auch ein Baby ist eine Persönlichkeit. Wieso soll ich als Bestatter als letzter Hand anlegen wenn dieses Kind in den Sarg gelegt wird? Gehört nicht den Eltern die Chance gegeben einen Teil ihrer Liebe die sie diesem Kind noch schenken wollten mit in den Sarg zu legen? Muss der Sarg mit weißem Tuch ausgeschlagen sein? Eine schöne bunte Decke lässt die grausame Brutalität des Todes ein wenig freundlicher erscheinen.


Es sind aber nicht nur die Eltern, die sich auf ein Leben ohne dieses Kind vorbereiten müssen. Die Großeltern und Freunde der Familie, und nicht zuletzt ganz besonders die Geschwisterkinder haben ein Recht, sich auf die Endgültigkeit des Todes dieses Kindes vorzubereiten. Welche Fantasien können wohl Geschwisterkinder entfalten, wenn sie den sonst üblich weißen Sarg in ihren eigenen Farben und Bildern anmalen dürfen?


In Briefen und Bildern haben wir Menschen eine Möglichkeit unsere Gefühle auszudrücken. Geschriebene oder gemalte Sorgen und Ängste machen unsere Köpfe frei für das Wesentliche. Legen wir doch all unsere Schuldgefühle und Kümmernisse mit in diesen kleinen bunten Kindersarg. Sie glauben gar nicht wie viel Platz ein solch kleiner Sarg birgt.


Alle, die dieses tote Kind lieben, sollten mit einbezogen werden. Jeder sollte eine Aufgabe übernehmen, damit die Beerdigung eines kleinen Menschenkindes zu einem Fest werden kann. So können zum Beispiel die Großeltern den Sarg von der Friedhofskapelle zum Grab bringen. Sie gehen den letzten irdischen Weg gemeinsam mit ihrem Enkelkind. Sie sind ihm ganz nahe.


Freunde der Familie zum Beispiel können das Grab ausheben, die Freundinnen können die Trauerhalle schmücken. Nicht nur mit Blumen. Mit Bildern, mit Spielsachen, Knuddeltieren und mit Erinnerungen an den kleinen Menschen. Sind die, in der Kirchenliturgie festgelegten Lieder das, was Eltern beim letzten gemeinsamen Gang mit ihrem toten Kind ertragen wollen? ,,Weißt du wie viel Sternlein stehen.. , Der Mond ist auf gegangen“ oder gar ,,Es tanzt ein Bi Ba Butzemann“ sind zwar nicht unbedingt als Musik für eine Beerdigung erdacht worden, werden mit Sicherheit jedoch tröstlicher stimmen und Erinnerungen an die schöne Zeit wecken.

 

Es ist noch nicht solange her, zum Teil werden heute noch in ländlichen Gegenden all die genannten Aufgaben beim Tod eines erwachsenen Menschen von den Nachbarn und Dorfbewohnern übernommen. Der Familien- und der Freundeskreis soll eine Gemeinschaft sein, die sich gegenseitig stärkt und wieder aufrichtet. Jeder, der eine Aufgabe übernimmt, wird sich beim erfüllen dieser Aufgabe bewusst werden: Das ist das letzte, was ich für dieses, mir liebgewordene Kind tun kann. Dieses Bewusstsein wird die Trauer lindern.


Laut Bestattungsgesetz, je nach Bundesland abweichend, muss 36 Stunden nach Todeseintritt mit der Überführung des Sarges von zu Hause in eine öffentliche Leichenhalle begonnen werden. Jedoch gibt es auch für dieses Gesetz eine Ausnahmeregelung, die besagt, dass die 36-Stundenfrist verlängert werden kann.


Ich denke, dass es für alle Betroffenen äußerst wichtig ist, dass das tote Kind solange wie möglich im Kreise der Familie bleibt. Wenn für das Kind ein eigenes Zimmer vorhanden ist und hergerichtet wurde, ist dies der richtig­ste Ort zum Aufbahren des Sarges. Die Aufbahrung kann wohl auch im Elternschlafzimmer oder im Wohnzimmer sein. Wichtig ist die häusliche Umgebung.


Für die Eltern und die Geschwisterkinder ist es äußerst wichtig, jederzeit Zugang zu dem Sarg mit dem toten Kind zu haben. Die persönliche Umgebung und der Zugang zu allen Zeiten erleichtert es, sich von dem Kind zu verabschieden. Ich selbst habe es erlebt, dass es nach vier Tagen nach dem Tod des Kindes und eine Stunde vor der Beerdigung noch zu früh war, den Sarg im Elternhaus abzuholen. Die Beerdigung sollte nicht im kleinen Kreis stattfinden, oder wie es so schön heißt: ,,In aller Stille“. Die betroffene Familie muss zu dem erlittenen Verlust stehen.


Es mag zwar einfacher erscheinen, die Trauer und die erlebte Enttäuschung für sich zu behalten. Den Mitmenschen wird dadurch jedoch signalisiert: Wir wollen in unserer Trauer alleine sein. Dieses Signal bewirkt, dass sich die Bekannten von den Betroffenen zurück ziehen und die Familie bleibt in ihrer Not ohne Hilfe.


Wenn Geschwister des toten Kindes zum Kindergarten oder zur Schule gehen, können die Eltern die Gruppenleiterinnen oder Klassenlehrer ansprechen, dass die Gruppe oder Klasse an der Trauerfeier und Beerdigung teilnimmt. Die Geschwisterkinder erfahren somit Solidarität in der Gruppe oder Gemeinschaft, in der sie einen großen Teil ihrer Zeit verbringen. Die Solidarität der Gruppe wird noch verstärkt, wenn die Kinder eine selbstgebastelte Grabbeigabe mitbringen. Dies können zum Beispiel sein: Falt- oder Pappfiguren, selbstgemalte Bilder oder selbstgepflügte Blumen und so weiter.


Den Geschwisterkindern wird mit dieser Geste signalisiert: Wir halten zusammen, auch wenn es dir mies geht. Die Kinder in der Gemeinschaft erhalten das Gefühl Wir können mitreden, wir waren dabei und wir verstehen dich. 


In der Zeit nach der Beerdigung fehlt es nicht an tröstenden Worten. Manche Aussagen lassen einem die Haare zu Berge stehen. Aussagen wie: ,,Ihr seid noch jung, ihr könnt noch mehr Kinder haben“, oder ,,Vielleicht ist es besser so, wer weiß was diesem Wurm alles erspart bleibt.“ Es sind enttäuschende Trostworte, die die Wut in uns kochen lassen. Sie sind aber auch Ausdruck von Hilflosigkeit und dem Gefühl: ,,Ich muss doch etwas sagen.“ Trauernde, ganz besonders trauernde Eltern wollen und brauchen keine Ratschläge. Sie wünschen sich nur einfach jemanden der da ist, der nichts sagt, der aber zuhört wenn die Gefühle aus trauernden Eltern heraussprudeln.


Bevor Eltern den Schritt in eine neue Schwangerschaft, nach dem Tod eines Kindes wagen, müssen sie sich freimachen von den vergleichenden Gedanken: Wie hätte unser totes Kind sich verhalten.


Nachfolgekinder werden im Normalfall besonders behutsam umsorgt und überwacht. Dabei übersehen Eltern sehr häufig, dass das Nachfolgekind eine eigene Persönlichkeit ist. Es kann und wird nie Ersatz für ein totes Kind sein.


Als Bestatter und als Außenstehender möchte ich eigentlich nur den Rahmen vorgeben, einen schlichten zurückhaltenden Rahmen. Das Bild soll im Familien- und Freundeskreis entstehen.